Der Bahnhof von Finnentrop 在線電子書 圖書標籤:
發表於2024-11-14
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Der Rezensent des »Deutschlandradio«, Eberhardt Straub, zerreist Christian Linders 500 Seiten-Buch »Der Bahnhof von Finnentrop. Eine Reise ins Carl Schmitt Land« gereizt in der Luft. Straubs Begründung: Linder befolge Goethes Rat, »zu berichten, was und wie der andere dachte, statt zu erwägen, wie er hätte denken sollen«.Das Erscheinen dieses Buches ist Indiz dafür, dass heute niemand mehr belehrt werden möchte in diesem Tonfall: Das hätte Carl Schmitt besser denken sollen. Die heutigen Erstsemester haben die Political Correctness längst eingepackt in den Schuhkarton mit der Beschriftung »Das war 68«.
Der Bahnhof von Finnentrop war derjenige, über den Fernreisende nach Plettenberg reisten. Und die kamen in Scharen. Carl Schmitt ist ein Beispiel für das völlige Auseinanderdriften von öffentlicher Wahrnehmung einer Person. Und deren tatsächlicher Bedeutung. Denn nicht nur Rechts- und Linksintellektuelle haben ihn besucht in seinem Einsiedlerdasein »San Cassiano«. Aber die haben dazu gestanden. Im Gegensatz zu Rudolf Augstein, der sich sogar von Schmitt juristisch beraten lassen hat.
Carl Schmitt, - diesen Namen haben alle, die sich für geisteswissenschaftliche Debatten im weitesten interessieren, schon einmal gehört. Aber wer war dieser von seinen Anhängern liebevoll CS Genannte?
Carl Schmitt wurde am 11. Juli 1888 in Plettenberg im Sauerland geboren. Er studierte ab 1907 in Berlin, München und Straßburg. Er hatte eine Affinität zu verschiedenen Künsten und gehörte zeitweise zur Schwabinger Bohème. Schmitt war zu dieser Zeit befreundet mit den Begründern des deutschen Dada, Hugo Ball und Franz Blei. 1916 habilitierte sich Schmitt in Straßburg mit der Arbeit »Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen« für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht und Staatstheorie. Einer kurzen Lehrtätigkeit an der Handelshochschule in München folgten weitere Rufe in kurzer Zeit. Während der gesamten Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft lehrte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin.
Bis direkt vor Hitlers Machtantritt hatte er als Berater des Reichspräsidenten Hindenburg versucht, Hitler und dessen Diktatur zu verhindern. Als das jedoch gescheitert war, stellte sich Schmitt an die Seite der Nazis. Er unterfütterte Hitlers Macht im Staat und die Parteiendiktatur rechtswissenschaftlich. Außerdem agierte er teils antisemitisch. Dies ohne Ausnahme von engen Kollegen. Als die SS-Zeitschrift »Das schwarze Korps« ihn heftig angriff, war seine Karriere im Dritten Reich beendet.
Nach 1945 wurde er mehrmals kurz interniert. Als Rechtswissenschaftler war er in der neuen Bundesrepublik persona non grata. Aber nur in der Öffentlichkeit. Hinter den Kulissen gehörte er zu den einflussreichsten Vätern des Grundgesetzes. So ist die Ausprägung der »Wehrhaften Demokratie« ohne sein Mitwirken undenkbar.
Schmitt starb am 7. April 1985 in Plettenberg.
Carl Schmitt bewegte und provozierte die Geister bis zu seinem Tod. Linder berichtet von einem eskalierenden Streit innerhalb der Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit«.1954 hatte der damalige Chefredakteur Richard Tüngel während des Urlaubs der allmächtigen Marion Gräfin Dönhoff einen Text von Carl Schmitt mit dem Titel »Im Vorraum der Macht« ins Blatt gehievt und groß aufgemacht. Kurze Zeit später konnte er seinen Hut nehmen.
In der Bundesrepublik sah man sich über Jahrzehnte gezwungen, das Schwarz-Weiß-Malen zu üben. Deutschland hat weniger Demokratie-Praxis als andere westeuropäische Staaten. Und wahrlich: Carl Schmitt hatte sich weit aus dem Fenster gehängt. Andererseits: Nach 1945 war keine Spur mehr von den brisanten und eben auch tiefgründigen Debatten zwischen den Weltkriegen. Linder bringt in Faksimile einen Brief Walter Benjamins, in welchem der marxistische Denker sich bei Schmitt in hohen Worten für die geistige Lehrerschaft bedankt: »Vielleicht darf ich Ihnen darüber hinausgehend sagen, dass ich auch in Ihren späteren Werken, vor allem der Diktatur, eine Bestätigung meiner kunstphilosophischen Forschungsweisen durch Ihre staatsphilosophischen Forschungsweisen entnommen habe.«
Linders Buch ist nur aufgrund der Bescheidenheit des Verlages nicht als Biographie bezeichnet. Faktisch ist es eine. Und es ist eine verdammt gute. Linder, eigentlich vor allem Hörspielautor, hat den Mut besessen, eine subjektive Form für seinen biographischen Großessay zu wählen. Der handelt sozusagen dramaturgisch von Schmitts Leben ab 1945. Die Qualität dieses Buches ist die menschliche Größe des 1949 in Lüdenscheid Geborenen. Er muss sich nicht über Schmitt stellen, um ihn portraitieren zu können. Linder erfindet ein Gespräch zwischen Schmitt und seinen Schülern Rüdiger Altmann und Johannes Gross, in dem er echte Interview-Aussagen geschickt montiert. Warum nicht in dieser Weise sich der Ausnahmepersönlichkeit Carl Schmitt nähern?
Aufgrund der ausgiebigen aber nicht überflüssigen Zitate aus Schmitts Veröffentlichungen erhält das fulminante Buch beinahe Züge einer Werkbiographie. Es ist dies eine ernstzunehmende Biographie über einen der wichtigsten deutschen Denker des 20. Jahrhunderts. Sie wird das Carl Schmitt-Bild nachhaltig beeinflussen.
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